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Barrierefrei hören und kommunizieren im Beruf

erschienen in: Sicherheitsbeauftragter, 5/2015, Seiten 20-22

Wie lässt sich die Akustik im Großraumbüro verbessern und Lärmstress vermeiden? Warum sollte im Betrieb über das Thema Schwerhörigkeit informiert werden? Welche Technik ermöglicht es Hörgeräteträgern, nebengeräuschfrei an Kommunikation teilzuhaben?  Konkrete Antworten auf diese und viele weitere Fragen gibt der Leitfaden „Barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt“ auf der Internetseite www.hörkomm.de.

Das Projekt hörkomm.de, das mit Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgebaut wurde, hat den Leitfaden „Barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt“ gemeinsam mit Unternehmen, Experten und höreingeschränkten Menschen entwickelt. „Unser Ziel  ist es, auf die Barrieren aufmerksam zu machen, auf die Menschen mit Hördefiziten im Berufsleben stoßen, und ihre uneingeschränkte Teilhabe an der Kommunikation zu fördern“, sagt Heike Clauss vom Projekt hörkomm.de.

Denn kaum ein Gesundheitsthema ist in der Arbeitswelt so wenig präsent wie das der Schwerhörigkeit. Dabei ist das Phänomen weit verbreitet. Studien konnten zeigen, dass rund 19 Prozent der Deutschen über 14 Jahre hörbeeinträchtigt sind. Vor allem Ältere sind betroffen. Denn mit steigendem Alter lässt das Hörvermögen nach. Von den 50- bis 59-Jährigen hört bereits jeder Vierte nicht mehr gut. Durch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit sind auch in Unternehmen mehr Schwerhörige anzutreffen. Die demografische Entwicklung wird diese Tendenz noch verstärken. Doch in Betrieben mangelt es an Wissen, wie das Arbeitsumfeld hörfreundlich gestaltet werden kann. Sicherheitsbeauftragte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit könnten dazu beitragen, die Problematik aufzuzeigen und zu Lösungen anzuregen.

Hörgeräte allein reichen häufig nicht

Welche Folgen Schwerhörigkeit für einen berufstätigen Menschen hat, können Menschen ohne Hörprobleme oft gar nicht nachvollziehen. Auch viele Schwerhörige bemerken ihre Einschränkung nicht sofort. Vor allem die sogenannte Spätschwerhörigkeit entwickelt sich schleichend. Beispielsweise muss eine betroffene Person häufiger nachfragen, was der Kollege gesagt hat oder kann der Diskussion im Meeting nicht mehr richtig folgen.

Schwerhörigkeit bedeutet dann nicht nur, dass scheinbar alle leiser sprechen. Vielmehr werden bestimmte Frequenzen nicht mehr gehört und ähnlich klingende Laute nicht mehr unterschieden. Missverständnisse und Unsicherheiten in der Zusammenarbeit können die Folge sein. Wer nicht gut versteht, traut sich häufig nicht, immer wieder nachzufragen. So entstehen psychische Belastungen und Tendenzen zu sozialem Rückzug.

Mit einem Hörgerät allein ist es aber nicht getan. Schwerhörige Berufstätige treffen ständig auf Situationen, in denen das Verstehen noch zusätzlich erschwert wird. Etwa weil Büroräume mit vielen glatten Flächen ausgestattet sind, von denen der Schall reflektiert und nicht absorbiert wird. So entsteht ein Nachhall, der das Gesagte überlagert und verfremdet. Auch eine Geräuschkulisse aus Stimmen oder Maschinengeräuschen sowie ein vom Zuhörer weit entfernter Redner erschweren das Verstehen trotz Hörgerät.

hörkomm.de zeigt Lösungen auf

Der Online-Leitfaden „Barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt“ unterstützt Unternehmen und Verwaltungen dabei, das Thema Schwerhörigkeit aus der Tabuzone zu holen und hörfreundliche, barrierefreie Arbeitsumgebungen zu schaffen. Er besteht aus verschiedenen Rubriken. Neben „griffigen“ Abschnitten zu guter Raumakustik, Alarmierung für Menschen mit Hörverlust oder Technik zur Kommunikation zeigt eine Rubrik über hörfreundliche Unternehmenskultur auf, wie „Barrieren in den Köpfen“ gelöst und ein offener Umgang mit Höreinschränkungen gefördert werden kann.

Hörfreundliche Unternehmenskultur

In der Zusammenarbeit mit Experten und Betroffenen wurde deutlich, wie wichtig es ist, das Thema auf allen Betriebsebenen bis hin zum Management ins Bewusstsein zu rücken. Oft verschweigen Betroffene ihre Einschränkung und vermeiden es, wenn es irgendwie geht, ein Hörgerät zu tragen. Ihre Sorge vor einer Stigmatisierung ist zu groß. Doch die Folgen einer versteckten Schwerhörigkeit können ebenfalls gravierend sein: sie reichen bis hin zu Überforderung und Burn-out.

Eine hörfreundliche Unternehmenskultur trägt dazu bei, einen solchen Teufelskreis zu durchbrechen. Ein Unternehmen kann mit verschiedenen Maßnahmen signalisieren: Uns ist gutes Hören wichtig. Es ist kein Tabu, ein Hörgerät zu tragen. Für Menschen mit Höreinschränkung gilt Chancengleichheit.

Aktionstag „Gutes Hören“

Ein Beispiel für die praktische Umsetzung liefert der Flugzeughersteller Airbus in Hamburg. Um die Kollegen auf das Thema Schwerhörigkeit aufmerksam zu machen, veranstaltete die Schwerbehindertenvertretung auf Initiative von hörkomm.de den Aktionstag „Gutes Hören“. Auf ihrem Betriebsgelände konnten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Infoständen bei Hörgeräteakustikern und einer Beraterin der Selbsthilfe über die Thematik informieren. In einem Hörmobil wurden kostenlose Hörtests durchgeführt. Die Veranstaltung stieß auf rege Beteiligung der Belegschaft. Das Hören wurde zum Gesprächsthema unter den Kolleginnen und Kollegen und der offensive Umgang mit dem Thema ermutigte, eigene Probleme anzugehen.

Gute Raumakustik

Im Arbeitsumfeld sorgen gute akustische Bedingungen für ein wesentlich erleichtertes Sprachverstehen. Bereits beim Neubau sollte daher an gute Akustik gedacht werden. Damit diese etwa in Büros und Besprechungsräumen sichergestellt ist, sollten Planer angehalten werden, sich an den Empfehlungen der DIN 18041 zur „Hörsamkeit in Räumen“ zu orientieren. Doch auch in schon bestehenden Gebäuden gibt es Möglichkeiten der Nachrüstung. Das zeigt etwa das Beispiel der schwerhörigen Angestellten Claudia Möller bei der AXA Konzern AG. Claudia Möller arbeitete in einem Einzelbüro mit vielen gläsernen und anderen schallharten Flächen. Dies führte zu störenden Schallreflexionen: das Sprachverstehen wurde für die Hörgeräteträgerin extrem anstrengend. Sie wandte sich an das Integrationsamt und ließ den Raum durch einen technischen Berater begutachten. Gemeinsam mit einem Akustikexperten wurde dann nach einer Lösung gesucht. Diese kam schließlich zustande, indem schallabsorbierende Wandpaneele über ihrem Schreibtisch angebracht wurden, die die Akustik deutlich verbesserten. Die Kosten der Maßnahmen übernahm anteilig die Fürsorgestelle des Integrationsamtes.

Hilfreiche Technik

Um Menschen mit Höreinschränkungen die Teilnahme an Konferenzen und Besprechungen uneingeschränkt zu ermöglichen, sind Anlagen zur technischen Hörunterstützung hilfreich. Sie können Wortbeiträge der Teilnehmenden direkt auf die Hörgeräte des Zuhörers oder ausgeteilte Kopfhörer übertragen.

Störgeräusche wie etwa Rascheln und Husten kann ein hörbehinderter Teilnehmer, selbst wenn er ein Hörgerät trägt, nur schwer filtern. Die direkte Übertragung von Sprachinhalten ans Ohr hingegen ist nebengeräuschfrei. Die Tonsignale werden dann je nach Höranlage über Induktionsschleife, Funkwellen oder Infrarot-Lichtstrahlen übertragen. Der Leitfaden erklärt, welche Anlagen für welche Verwendung geeignet sind und dokumentiert verschiedene Best-Practice-Beispiele, etwa eine Expertenberatung zum Einsatz einer induktiven Höranlage bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Hamburg (KVH).

Alarmierung für Menschen mit Hörverlust

Der Ton des Rauchwarnmelders, das Schrillen einer Werksirene, das Piepen eines zurückfahrenden Fahrzeugs oder die Gegensprechanlage im Personenaufzug basieren auf der Fähigkeit zu hören. Personen mit starker Hörminderung können diese Informationen jedoch nicht wahrnehmen. Hörgeräte oder Cochlea-Implantate können vorübergehend funktionslos sein. Dies kann zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Unternehmen sind daher unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, ihre Sicherheitskonzepte auf die Belange von Menschen mit Höreinschränkungen abzustimmen. Hierzu müssen Alarmsignale nach dem sogenannten Zwei-Sinne-Prinzip zusätzlich visuell oder taktil vermittelt werden. So können zum Beispiel gut sichtbare Lichtblitze oder farbige Rundumleuchten in Räumen und Fluren signalisieren, dass Gefahr droht.

Als individuelle Lösung eignen sich auch körpernah getragene Kommunikationssysteme, die Vibrationen abgeben und eine prägnante Kurznachricht, wie z.B. „Achtung Feueralarm!“, übermitteln.

Neben praxisnahen Checklisten bietet der Leitfaden auch betriebliche Beispiele. In einem Gebäude des Bau- und Liegenschaftsbetriebes Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurde ein hörbehindertengerechtes Aufzugnotrufsystem installiert. Über einen in der Aufzugkabine befindlichen Touchscreen können die Fragen der Leitstelle visualisiert und über berührungsempfindliche Bedienfelder beantwortet werden.

Leitfaden und Infothek

Auf der Internetseite www.hörkomm.de findet sich neben dem Leitfaden auch eine Infothek. Hier sind weitere Informationen rund um das Hören zu finden, etwa zu Hörgeräten und ihrer Finanzierung. Die Liste „Wichtige Adressen“ reicht von Beratungsstellen der Selbsthilfe über Kostenträger bis hin zu Anbietern von Höranlagen oder schallabsorbierenden Materialien. So unterstützt das Projekt alle, die sich darum bemühen, dass das Hören und Kommunizieren am Arbeitsplatz keine Stressfaktoren werden, sondern eine uneingeschränkte Selbstverständlichkeit.

www.hoerkomm.de