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Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)

Der Arbeitskreis Hörbehinderung

An der PTB in Braunschweig existiert seit 2009 der Arbeitskreis Hörbehinderung. Er besteht aus hörgeschädigten Beschäftigten und der Vertrauensperson der Schwerbehinderten und unterstützt die Umsetzung verschiedener Integrationsprojekte.

Ausgangslage

Die PTB ist das nationale Metrologie-Institut Deutschlands. Metrologie ist die Lehre von Maßen und Maßsystemen, wie dem Kilogramm oder der Sekunde. Die PTB betreibt metrologische Grundlagenforschung und steht dazu in engem Austausch mit Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft im nationalen wie internationalen Umfeld. 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für die PTB tätig, davon derzeit 12 Hörbehinderte – von der Auszubildenden bis zum promovierten Wissenschaftler.

In der PTB in Braunschweig treffen sich seit Jahren höreingeschränkte Beschäftigte zu einem mittäglichen Stammtisch. In der Anfangszeit stand der persönliche Austausch beim gemeinsamen Mittagessen in der Kantine im Vordergrund. 2009 bildete sich auf Engagement des Schwerbehindertenvertreters Rainer Lütge aus dem Stammtisch der „Arbeitskreis Hörbehinderung“.

Was wurde gemacht?

Der Arbeitskreis Hörbehinderung schiebt über die Jahre verschiedene Projekte an, die die Inklusion schwerhöriger Beschäftigter innerhalb der PTB unterstützen.

Projekt „Englisch für hörbeeinträchtigte Beschäftigte“

Im internationalen Umfeld der PTB ist Englisch als Arbeitssprache für alle Beschäftigten relevant. Auch die Mitglieder des Arbeitskreises wollen ihr berufliches Potential durch Englischkurse ausbauen. Eine reguläre Fortbildung würde jedoch die besonderen Kommunikationsbedürfnisse von stark schwerhörigen Menschen nicht ausreichend berücksichtigen. In der Schulung „Englisch für hörbeeinträchtigte Beschäftigte“ lernen Schwerhörige die Artikulation neuer Wörter entsprechend ihren individuellen Hör- und Sprechmöglichkeiten. Inzwischen läuft der vierte Kurs à 15 Doppelstunden mit jeweils 5 Teilnehmenden. Die Kurse finden während der Arbeitszeit und für die Lernenden unentgeltlich statt. Die Übernahme der Kosten können beim Integrationsamt beantragt werden.

Projekt „FM-Anlage im neuen Seminarzentrum“

2010 ist die Bauplanung für ein neues Seminarzentrum der PTB bereits abgeschlossen. Da die nachträgliche  Berücksichtigung einer fest installierten Induktionsschleife mit erheblichen Baukosten verbunden ist, fällt die Entscheidung für eine Anlage, die mit frequenzmodulierten Funksignalen (FM) arbeitet.

Bei der gewählten FM-Anlage werden die Worte des Sprechers mittels Großraum- oder Kleinsender über FM an den Empfänger gesendet. Die PTB verfügt über 10 Empfänger, die von den hörbeeinträchtigten Beschäftigten ausgeliehen und dann am Körper getragen werden. Die Sprache wird nun direkt auf das jeweilige Hörgerät übermittelt.

Die Empfänger sind nicht nur in allen Seminarräumen nutzbar, sondern können bei Bedarf auch mit weiteren Kleinsendern direkt am Arbeitsplatz der Betroffenen für kleinere Besprechungen genutzt werden. Die Hörsysteme der Arbeitskreismitglieder und der weiteren hörgeschädigten Beschäftigten verfügen über eine sogenannte T-Spule und sind darüber mit der FM-Anlage kompatibel. Hierdurch bestehen Einsatzmöglichkeiten für das gesamte Betriebsgelände.

Die Einbindung des Arbeitskreises Hörbehinderung ist auch über den Zeitpunkt des Einbaus der FM-Anlage hinaus von Bedeutung. So evaluieren die Betroffenen nach Inbetriebnahme der FM-Anlage wie gut und klar das Signal zu verstehen ist. Alle Befragten kommen zu einem guten Ergebnis.

Projekt „Ausbildung und Einstellung schwerhöriger Menschen“

Als Vertrauensperson für die schwerbehinderten Menschen der PTB setzt sich Rainer Lütge besonders für die Einstellung schwerhöriger oder höreingeschränkter Beschäftigter oder Auszubildender ein. Darüber tauscht sich auch der Arbeitskreis Hörbehinderung regelmäßig aus.

2011 beginnt Sophie Engelmann ihre Ausbildung zur Mediengestalterin. Unter über hundert Bewerbern legt sie den besten Einstellungstest ab – er wird in schriftlicher Form angefertigt und stellt so keine „Barriere“ für schwerhörige Bewerber dar. Sophie Engelmann wird eingestellt und kümmert sich eigenständig um ihre Ausstattung mit einer mobilen FM-Anlage, die sie insbesondere für die Teilnahme am Unterricht nutzen will. Die Agentur für Arbeit finanziert das Hilfsmittel und ermöglicht dadurch kurzfristig ein technisch unterstützendes Sprachverstehen in der regulären Berufsschule.

2012 beginnt eine weitere Auszubildende mit einer Hörschädigung eine Ausbildung in der PTB, diesmal zur Elektronikerin für Geräte und Systeme. Dieser Ausbildungsbereich hat bereits mehrfach Auszubildende mit Hörschädigungen ausgebildet. Hier unterstützt die Agentur für Arbeit den Ausbildungsbetrieb im Rahmen der beruflichen Teilhabe mit Zuschüssen zur Ausbildungsvergütung. Da der Arbeitgeber diesen Ausbildungsplatz zusätzlich speziell für gesundheitlich eingeschränkte Auszubildende zur Verfügung gestellt hat, erfolgt hier eine für den Ausbildungsbetrieb fast  kostenneutrale Bezuschussung.

Projekt „Außendarstellung und Öffentlichkeitsarbeit“

Unter dem Motto „Schwerhörigkeit behindert nur beim Hören, nicht beim Denken“ präsentiert sich der Arbeitskreis Hörbehinderung auch am Tag der offenen Tür der PTB. Für die Mitglieder des Arbeitskreises ist es selbstverständlich, offen und selbstbewusst mit ihren besonderen Anforderungen umzugehen. In Zusammenarbeit mit dem Bereich Mediengestaltung entsteht ein Flyer, der sowohl für das Thema Schwerhörigkeit & Lärmschutz sensibilisiert, als auch auf die Aktivitäten des Arbeitskreises verweist. „Aufklärungs-und Netzwerkarbeit ist wichtig“, erklärt Rainer Lütge. Und so verwundert es nicht, dass er regelmäßig Anfragen anderer Einrichtungen erhält, die von den guten Lösungen des Arbeitskreises Hörbehinderung lernen wollen.

Ergebnisse

Der Arbeitskreis Hörbehinderung erreicht durch die koordinierte Zusammenarbeit von Betroffenen und der Schwerbehindertenvertretung eine gute Durchsetzungskraft. Die besonderen Anforderungen schwerhöriger Menschen werden direkt von ihnen formuliert und – unterstützt durch die Schwerbehindertenvertretung, den Personalrat und die Dienstellenleitung – zu Gunsten der betroffenen Beschäftigten umgesetzt.

Was können andere davon lernen?

  • Der Zusammenschluss zu einem Arbeitskreis ermöglicht die Formulierung gemeinsamer Ziele, erhöht die Durchsetzungskraft und unterstützt so die Teilhabe schwerhöriger Beschäftigter am Arbeitsleben.
  • Nachträgliche Lösungen, wie die FM-Anlage, können ohne große bauliche Veränderungen umgesetzt werden und sind innerbetrieblich individuell einsetzbar.

Betrieblicher Ansprechpartner:

Rainer Lütge
Vertrauensperson für die Schwerbehinderten Menschen (VPSchwbM)
Telefon: 0531 592-1097

Mikrofone und Empfänger der FM-Anlage