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Inklusion fördern: Mehr ältere Beschäftigte, mehr Menschen mit Hörbehinderung

erschienen in: gute Arbeit., Nr. 01/2014, Seiten 34-35

Mit zunehmendem Alter lässt das Hörvermögen bei vielen Menschen nach. Bereits 25 Prozent aller 50- bis 59-Jährigen sind heute von einem Hördefizit betroffen. Angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Lebensarbeitszeit werden in Zukunft mehr schwerhörige Arbeitnehmer in Betrieben anzutreffen sein. Doch in vielen Unternehmen sind die Auswirkungen des Hördefizites im Berufsalltag und die Hürden, auf die Betroffene stoßen, nahezu unbekannt. Das Projekt hörkomm.de versucht, Abhilfe zu schaffen und die Inklusion schwerhöriger Beschäftigter in der Arbeitswelt voranzutreiben.

Die Inklusion schwerhöriger Beschäftigter steckt noch in den Kinderschuhen. Nur selten ist Schwerhörigkeit am Arbeitsplatz ein Thema. Dabei ist das Phänomen weiter verbreitet als gemeinhin bekannt.

Nach einer Studie des Mediziners Wolfgang Sohn (Universität Witten-Herdecke, 2000) sind 19 Prozent der Deutschen über 14 Jahre mehr oder weniger stark hörbeeinträchtigt. Vor allem Ältere sind zunehmend betroffen. Denn mit steigendem Alter lässt das Hörvermögen nach. Von den 50- bis 59-Jährigen hört bereits jeder Vierte nicht mehr gut (Sohn und Jörgenshaus, 2001). Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer steigenden Lebensarbeitszeit werden damit zukünftig auch mehr Betroffene in den Betrieben anzutreffen sein.

Wie sich Schwerhörigkeit im Berufsleben auswirkt

Welche Folgen Schwerhörigkeit für einen berufstätigen Menschen hat, können gut Hörende oft gar nicht nachvollziehen. Auch viele Schwerhörige bemerken ihre Einschränkung nicht sofort. Vor allem die sogenannte Spätschwerhörigkeit entwickelt sich schleichend. So muss der Betroffene beim Essen in der Kantine häufiger nachfragen, was der Kollege eben gesagt hat, er kann der Diskussion im Meeting oder dem Vortrag auf der Tagung nicht mehr richtig folgen. Schwerhörigkeit bedeutet dann nicht nur, dass scheinbar alle leiser sprechen. Vielmehr werden bestimmte Frequenzen nicht mehr gehört und ähnlich klingende Laute nicht mehr unterschieden, so dass es leicht zu Missverständnissen kommt. Schon ab einer Minderung der Hörfähigkeit um 25 Dezibel (dB) geht die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer geringgradigen Schwerhörigkeit aus. Das Ticken einer Armbanduhr kann dann schon nicht mehr von allen gehört werden. Ab 30 dB ist, je nach Art der Hörstörung, bereits ein Hörgerät indiziert.

Mit einem Hörgerät allein ist es aber nicht immer getan. Schwerhörige Berufstätige treffen ständig auf Situationen, in denen das Verstehen noch zusätzlich erschwert wird. Etwa weil Nebengeräusche in Kantinen oder im Büro das gesprochene Wort überlagern oder ein Redner, der in größerer Entfernung spricht, nicht mehr verstanden wird. Dabei kann mit verschiedenen Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden. Wie sich Barrieren für Menschen mit Hörstörungen abbauen lassen, ist allerdings zu wenig bekannt. Damit sind viele Unternehmen von der Inklusion ihrer schwerhörigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch weit entfernt.

hörkomm.de unterstützt schwerhörige Beschäftigte

Vor diesem Hintergrund entstand 2010 das Projekt hörkomm.de. Es wird vom Hamburger Forschungsinstitut DIAS GmbH durchgeführt und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. In enger Zusammenarbeit mit Experten, Unternehmen und Betroffenen entwickelt das Projekt Kriterien für die Schaffung barrierefreier Arbeitsumgebungen für Hörgeschädigte. Sie werden in einem Leitfaden mit dem Titel „Barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt“ festgehalten und auf der Internetseite von hörkomm.de veröffentlicht.

Der Leitfaden, der bis zum Herbst 2014 fertiggestellt sein soll, wendet sich sowohl an Verantwortliche in Unternehmen als auch an Betroffene. Er umfasst drei Handlungsfelder, in denen barrierefreie Voraussetzungen für schwerhörige Beschäftigte geschaffen werden können. Dazu gehören:

  • eine integrative Unternehmenskultur
  • raumakustische Maßnahmen
  • technische Lösungen

Die hörfreundliche Unternehmenskultur

Wie sich beim Projektverlauf im Gespräch mit Experten und Betroffenen gezeigt hat, ist es besonders wichtig, das Thema auf allen Betriebsebenen ins Bewusstsein zu rücken. Oft wagen Betroffene es nicht, sich im Unternehmen zu ihrer Einschränkung zu bekennen. Sie vermeiden sogar, ein Hörgerät zu tragen, weil sie eine Stigmatisierung befürchten. In der heutigen Gesellschaft wird das Tragen eines Hörgerätes häufig mit der negativen Vorstellung von Alter und Gebrechlichkeit verbunden. Eine hörfreundliche Unternehmenskultur kann dagegen setzen, indem sie vermittelt: Uns ist gutes Hören wichtig, es ist kein Tabu, ein Hörgerät zu tragen, für Menschen mit Höreinschränkung gilt Chancengleichheit.

Wie das in der praktischen Umsetzung aussehen kann, zeigt das folgende Beispiel. Um beim Flugzeughersteller Airbus in Hamburg auf das Thema Schwerhörigkeit aufmerksam zu machen, veranstaltete die dortige Schwerbehindertenvertretung den Aktionstag „Gutes Hören“. Auf ihrem Betriebsgelände konnten sich Airbus-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter an Infoständen von Hörgeräteakustikern, dem Deutschen Schwerhörigenbund und hörkomm.de- Vertreterinnen über die Thematik informieren. In einem zusätzlich angereisten Hörmobil wurden kostenlose Hörtests durchgeführt. Die Veranstaltung stieß auf rege Beteiligung unter den Mitarbeitern.

Checklisten erleichtern das Vorgehen

Auch zu den Punkten einer verbesserten Raumakustik und der Nutzung weiterer technischer Hilfsmittel, wie etwa geeigneter Tonübertragungs- und Signalanlagen, informiert der Leitfaden. So gibt es verschiedene Wege, für eine gute Raumakustik zu sorgen. Zum einen sollte bereits beim Neubau an eine gute Sprachverständlichkeit in Räumen gedacht werden und gegebenenfalls die entsprechende Technik eingebaut werden. Zum anderen gibt es auch in schon bestehenden Gebäuden Möglichkeiten der Nachrüstung. Das zeigt etwa das Beispiel einer schwerhörigen Beschäftigten des Versicherungskonzerns AXA. In deren Büro entstanden störende Schallreflexionen, das Sprachverstehen war extrem anstrengend. Mithilfe des Integrationsamtes und eines Akustikberaters suchte sie nach einer Lösung. Diese kam schließlich zustande, indem schallabsorbierende Wandpaneele über ihrem Schreibtisch angebracht wurden, die die Akustik deutlich verbesserten.

Beispiele wie diese wurden vom Projekt hörkomm.de begleitet und im Leitfaden als Best-Practice-Beispiele dokumentiert. Zudem enthält dieser neben Erläuterungen zu den Verbesserungsmöglichkeiten auch Handlungsempfehlungen, die in sogenannten Checklisten aufgeführt sind. Alle Ergebnisse werden bis zum Projektende regelmäßig überarbeitet und ergänzt. Sie zeigen: die Inklusion von Menschen mit Hördefiziten ist machbar.

Weitere Informationen unter www.hörkomm.de, Leitfaden mit Seminarangebot. Halbtägige Seminare richten sich an Multiplikatoren aus den Bereichen Personal- und Gesundheitsmanagement sowie Unternehmensführung oder betriebliche Mitbestimmung. Sie werden kostenlos vor Ort durchgeführt. Kontakt: Heike Clauss, DIAS GmbH, Projekt hörkomm.de, Telefon: 040 / 43 18 75 15