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Wie Sie Barrieren für schwerhörige Beschäftigte abbauen

erschienen in: Die Schwerbehinderten-Vertretung, Juli 2014, Seiten 4-5

Höreinschränkungen gehören zu den typischen Alterserscheinungen. Eine altersgerechte Arbeitswelt muss hierzu Antworten entwickeln. Derzeit stoßen Menschen mit Höreinschränkungen im Berufsleben aber noch immer auf viele Hörbarrieren, die ihnen den Alltag erschweren. In den meisten Unternehmen sind die Probleme sogar nahezu unbekannt, vor allem werden sie kaum beachtet. Das Projekt hörkomm.de erprobt in Unternehmen Lösungsansätze für eine hörfreundliche Arbeitsumgebung.

Das Projekt arbeitet dabei mit Arbeitgebern, Personalverantwortlichen, Ihnen als Schwerbehindertenvertretung und anderen verantwortlichen Akteuren  eng zusammen. Es wird aus dem Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gefördert.

Wie sich Schwerhörigkeit im Berufsleben auswirkt

Welche Folgen Schwerhörigkeit für einen berufstätigen Menschen hat, können gut Hörende oft gar nicht nachvollziehen. Auch viele Schwerhörige bemerken ihre Einschränkung nicht sofort. Vor allem die sogenannte Spätschwerhörigkeit entwickelt sich schleichend. Oft kann ein Betroffener der Diskussion im Meeting oder dem Vortrag auf der Tagung nicht mehr richtig folgen. Das Projekt hat spezielle Seminare entwickelt, die die Sensibilisierung im Unternehmen hierfür fördern sollen.

Schwerhörigkeit bedeutet nicht nur, dass anscheinend alle leiser sprechen. Vielmehr werden bestimmte Frequenzen nicht mehr gehört und ähnlich klingende Laute nicht mehr unterschieden, sodass es leicht zu Missverständnissen kommt. Ab 30 dB Hörminderung ist oft schon ein Hörgerät indiziert.

Problembewusstsein im Unternehmen entwickeln – helfen Sie mit!

Sehr wichtig ist es, das Thema Hörminderung bei allen Mitarbeitern ins Bewusstsein zu rücken. Oft wagen Betroffene es nicht, sich im Unternehmen zu ihrer Einschränkung zu bekennen. Sie vermeiden sogar, ein Hörgerät zu tragen, weil sie eine Stigmatisierung befürchten. Bei der Entwicklung einer diesbezüglich akzeptierenden Unternehmenskultur können Sie als Schwerbehindertenvertretung eine wichtige Rolle übernehmen.

Beispiele aus der Praxis

Was Sie im Einzelnen erreichen können, zeigen die folgenden Beispiele:

  • Im Airbus-Werk Hamburg-Finkenwerder wünschten sich sowohl die Standortleitung als auch die Schwerbehindertenvertretung einen offenen Umgang mit dem Thema Schwerhörigkeit. Betroffene Mitarbeiter werden ermuntert, ihre Bedürfnisse ohne Sorge vor Benachteiligung oder Stigmatisierung zu äußern und technische Hilfsmittel bei Bedarf zu nutzen. Gemeinsam mit Mitarbeiterinnen des Projekts hörkomm.de organisierte die Schwerbehindertenvertretung dazu einen Aktionstag mit dem Motto „Tag des guten Hörens“. Dieses Angebot wurde von der Belegschaft rege angenommen, das  Thema Schwerhörigkeit ist erfolgreich in den Betrieb getragen.
  • Im Versicherungskonzern AXA informiert die Schwerbehindertenvertreterin des Konzerns im Intranet über das Thema Schwerhörigkeit. Die Beschäftigten erhalten etwa Hinweise zu möglichen Hilfsmitteln am Arbeitsplatz, zum Stellenwert der Raumakustik sowie Adressen und Ansprechpartner, an die man sich im Bedarfsfall wenden kann.

Ihre Handlungsmöglichkeiten

  • Machen Sie den Beschäftigten bewusst, dass viele Menschen Schwierigkeiten beim Hören haben. Aber auch, dass es zahlreiche Hilfen gibt, beispielsweise Hörgeräte oder Arbeitshilfen.
  • Fordern Sie die Beschäftigten auf, offen mit ihren Anforderungen an die Arbeitsplatzausstattung oder die Gesprächskultur umzugehen.
  • Versuchen Sie, Ihre Geschäftsführung und Ihren Betriebsrat für eine hörfreundliche Unternehmenskultur zu gewinnen. Helfen Sie, Zeichen zu setzen, mit denen Ihr Unternehmen zeigt, dass

- ihm gutes Hören wichtig ist,
- es kein Tabu ist, ein Hörgerät zu tragen,
- Menschen mit Höreinschränkung Chancengleichheit ermöglicht wird.

Hörverlust / Versorgungsmedizinische Grundsätze

Hörverlust wird auf verschiedene Weisen gemessen. Es sind dazu Ton- und Sprachaudiogramme durchzuführen. Bei Lärmschwerhörigkeit wird zusätzlich noch eine Beurteilung der Hochtonverluste vorgenommen. Für alle 3 Messungen finden sich Tabellen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), Teil B 5.2.

In den VMG findet sich als Teil B 5.2.4 eine weitere Tabelle zur Ermittlung des Schädigungsgrades (GdS) oder Grades der Behinderung (GdB) aus Hörverlusten für beide Ohren, die ich vereinfacht hier wiedergebe:

SchwerhörigkeitsgradHörverlust in %GdS/GdB bei beidseitigem HörverlustGdS/GdB bei nur einseitigem Hörverlust*
Normalhörig 0-20 0 0
Geringgradig 20-40 10-20 0
Mittelgradig 40-60 30 10
Hochgradig 60-80 50 10
An Taubheit grenzend 80-95 70 10-20
Taubheit 100 80 20

Quelle: VMG, Teil B 5.2.4; eigene Bearbeitung

* Bei zusätzlichem Hörverlust des 2. Ohres erhöht sich der in dieser Spalte jeweils stehende GdS/GdB, bleibt aber stets unter dem für gleichen beidseitigen Hörverlust ausgewiesenen GdS/GdB.

Praxistipp:

Für die Anerkennung eines GdS für Hörschäden ist sowohl eine Messung des Hörverlustes im Tonaudiogramm wie im Sprachaudiogramm notwendig. Die Messung wird von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten durchgeführt.

Falls ein Antrag bei der Berufsgenossenschaft wegen Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit läuft oder bereits beschieden ist, können derartige Unterlagen auch von dort in das Feststellungsverfahren für den GdS/GdB einbezogen werden.

Lärmdämmung in Schule und Kindergarten

Ein erheblicher Anteil des schwerbehinderten pädagogischen Personals in Schulen und Kindergärten benötigt zur Stressentlastung und/oder zum Ausgleich verschlechterten Hörens eine Reduzierung der Lärmbelastung durch bauliche Maßnahmen.

Auch hier hat das Projekt hörkomm.de ein Best-Practice-Beispiel dokumentiert (www.hoerkomm.de/elbschule.html.). Die Standardvorschläge für eine optimale Klassen- oder Kindergartenraumgestaltung werden in 6 prinzipiellen Anforderungen zusammengefasst:

  1. Der Störgeräuschpegel von außen soll so niedrig wie möglich sein.
  2. Das Gleiche gilt für den Störgeräuschpegel im eigenen Raum.
  3. Die Nachhallzeit soll so kurz wie bautechnisch möglich sein (z. B. Deckendämmplatten).
  4. Schallreflexionen von der Rückwand sind zu vermeiden (Schallschutzwandplatten).
  5. Das 2-Sinne-Prinzip ist zu unterstützen (das Auge hört mit). Hierzu gehören gute Sichtbeziehungen zur Tafel und zu den Mitschüler/-innen sowie eine gute Beleuchtung, bei der aber Blendungen vermieden werden.
  6. Hörgeschädigte Kinder oder Lehrkräfte benötigen (je nach Grad der Hörschädigung) eine elektroakustische Unterstützung als personenbezogene FM-Übertragung (z. B. MicroLink, MicroVox, Mikroport, Solaris o. Ä.).

Was ist Schwerhörigkeit?

In Deutschland sind viele Menschen von Hörschwäche betroffen. Auch diese Behinderung tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf. Schwerhörigkeit stellt sich in aller Regel schleichend ein. In der Anfangsphase wird sie oft gar nicht wahrgenommen.

Die Lärmbelastung verstärkt den natürlichen Alterungsprozess, ebenso andere Faktoren wie Herz-, Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen, erbliche Veranlagung oder Nikotinkonsum.

Die Zahl der Betroffenen ist sehr groß

Insgesamt sind 20 % der Bevölkerung schwerhörig. Bei den über 50-Jährigen hören bereits 25 % schlechter. Ab dem 65. Lebensjahr ist schätzungsweise jeder 2. Mann und jede 3. Frau von Altersschwerhörigkeit betroffen.

Gefahr sozialer Isolation

Bei einer beginnenden Schwerhörigkeit lässt meist zunächst das Vermögen des Ohres nach, auf bestimmte Frequenzen mit einer geringen Lautstärke noch zu reagieren. Betroffene können Geräusche immer schlechter unterscheiden. Menschen mit beginnender Schwerhörigkeit können oft einem Einzelgespräch noch gut folgen, aber in größeren Gesellschaften oder bei lauter Hintergrundkulisse, wie zum Beispiel in gewerblichen Arbeitsbereichen, in Schulen oder Kindergärten, haben sie Probleme, sich an einer Konversation zu beteiligen.

Praxistipp:

Achten Sie bei Ihren Arbeitsplatzbegehungen auf dieses Thema. Engagieren Sie sich für eine akzeptierende Unternehmenskultur gegenüber Schwerhörigkeit.

 

Autoren:
Dr. Hans-Günther Ritz
Ann-Britt Petersen